Sechzig Prozent aller Fußballspieler fürchten, ihre Karriere wegen einem Kreuzbandriss beenden zu müssen.
Nicht umsonst! Denn mit 22% Verletzungswarscheinlichkeit ist Fußballspielen neben Skifahren der Top-Kandidat für diese Verletzung. Der Verletzungsmarathon einiger Profi-Fußballspieler kann einem sogar echt ins Staunen versetzen. Patrick Ebert, Oliver Kahn oder auch Lothar Matthäus: Alle mussten mit den Folgen eines Kreuzbandrisses kämpfen. Und der FC Bayern Spieler Holger Badstuber zog sich innerhalb von gut einem Jahr sogar gleich zwei Risse ein.1 2
Alles nur Zufall?
Oder gibt es einen Grund, warum gerade Fußballer besonders gefährdet sind? Um dies zu verstehen, schauen wir uns erst mal den Top-Kandidaten unter den Unfallmechanismen näher an:
Top-Ursache für Kreuzbandriss: Valgusmoment beim Landen oder beim Richtungswechsel
Valgusmomente sind Kräfte, die auf das Knie einwirken und es nach innen kollabieren lassen. Eine Studie von G. Myklebust besagt, dass 80% der Kreuzbandrisse auf ein solches Valgusmoment beim Landen oder bei einem Richtungswechsel zurückzuführen sind. Der Sportler nimmt also eine verstärkte X-Bein-Stellung ein.3 In einer Studie von Timothy E. konnte ebenfalls nachgewiesen werden, dass 9 Spieler, die sich einen Kreuzbandriss zugezogen haben, eine um 8° höhere Knieabduktion beim Landen hatten als unverletzte Spieler4 (erhöhte Knieabduktion = verstärkte X-Bein-Stellung). Dadurch verändern sich die Hebelarme zwischen Kniegelenksdrehpunkt und der Lastlinie, sodass wiederum höhere Valgusmomente resultieren.
Doch warum sind diese Valgusmomente so gefährlich?
Sicherlich hast du in der Schule schon mal von der Darwinschen Theorie gehört?
»The Survival of the Fittest« – Das Überleben des am besten Angepassten. Die Strukturen eines Lebewesen, welche es benötigt um sich gegen andere durchzusetzen (oder einen Vorteil ihnen gegenüber zu verschaffen), begünstigen seine Überlebenschancen und setzen sich durch Selektion in den nächsten Generationen fort. Alle anderen Strukturen werden dann eher nur zufällig weitergegeben.
Übertragen wir das mal auf den menschlichen Körper:
- Was ist die ursprünglichste Fortbewegungsform des Menschen?
- Und welche Strukturen werden dadurch begünstigt?
Die ursprünglichste Fortbewegungsform ist das Gehen und Stehen! Deshalb schauen wir uns mal die Momente/Kräfte an, die beim Gehen auf das Knie wirken.
Im normalen Gangzyklus betragen die Valgusmomente gerade mal ein zwölftel im Vergleich zu den Varusmomenten (Kräfte, die deine Knie voneinander wegdriften lassen). Gegen die Varusmomente ist dein Knie auch deshalb von Mutter Natur mit zwei starke Strukturen gewappnet worden: Dem Quadrizeps und dem Tractus iliotibialis5 (Ich selbst habe auch sehr selten von Unfällen gehört, wo das Knie zur Seite ausbricht). Auf der Innenseite sieht es dagegen jedoch sehr mager aus: Dort verlaufen nur ein paar Sehnen der Hamstrings und des M. Sartorius. Warum hätte dich Mutter Natur auch innenseitig mit riesigen Muskelpaketen besegnen sollen, wenn du sie ohnehin beim Gehen nie gebraucht hättest?
Vielleicht erkennst du nun schon das Problem?
Die Valgusmomente können – im Gegensatz zu den Varusmomenten – nicht durch starke Bänder und Muskeln abgefangen werden. Es kommt zu einer unphysioligschen Belastung deiner passiven Strukturen – unter anderem des Kreuzbands. Statt dessen muss diese gefährliche Situation von Anfang an vermieden werden. Die X-Bein-Stellung darf also gar nicht erst passieren! Doch welche Muskelgruppen verhindern diese ungünstige Positionierung?
Hüftabduktoren und tiefe Fußflexoren verhindern eine ungünstige X-Bein-Stellung
- Was für Muskeln sind das denn?
- Wo liegen diese überhaupt?
- Und viel wichtiger: Wie kann ich sie trainieren?
Hüftabduktoren
Bei gestreckter Hüfte fungieren der Glutaeus maximus und der Tensor fasciae latae als Hüftabduktoren. Ab einer Hüftbeugung von ungefähr 20° sind das vor allem der Glutaeus medius und Glutaeus minimus. Diese beiden Muskeln befinden sich unter den großen Pomuskeln und verlaufen von deinem Beckenkamm zum Trochanter des Femurs.
Zugegeben: Ich habe vor meiner intensiveren Recherche in der Funktionellen Anatomie der Gelenke von Kapandji auch noch nicht von der Bedeutung dieser beiden kleinen, aber unglaublich wichtigen Muskeln in Bezug zur Verletzungsprävention gewusst. Und du kannst mir glauben, dass dies weder den Trainern, noch den Ärzten und selbst den meisten Physiotherapeuten nicht bewusst ist!
Denn dieses spezielle Wissen findet man eben nur in ganz wenigen Büchern wie diesem, welches dann locker auch mal bis zu 500 Euro kostet…
Bevor du jetzt denkst: „Sehr gut, dann gehe ich ab sofort im Fitnessstudio an die Abduktorenmaschine“, muss ich dich ein wenig ausbremsen: Ein Abduktorentraining an der Maschine wird dir herzlich wenig bei der Prävention nützen. Ein Abduktorentraining im Stehen mit dem Seilzug genauso wenig. Doch dazu kommen wir in einem späteren Artikel 😉
Fußflexoren
Des Weiteren kommt den tiefen Fußflexoren eine entscheidende Bedeutung zu. Sie richten das Fußgewölbe auf und sorgen für eine Außenrotation und Aufrichtung der Tibia, welche unabdingbar für eine physiologische Haltung sind. Diese Thematik adressiere ich ebenfalls in einem anderen Artikel zur vorderen Kreuzbandprävention.
Wie kann ich die Hüftabduktoren trainieren?
Deine Hüftabduktoren trainierst du am besten mit einbeinigen Kräftigungsübungen bei leichter Hüftflexion. Dazu zählen:
- Single leg dead lifts,
- Step-Ups und Step-Downs, sowie
- Einbeinige Kniebeugen wie der King Deadlift oder die Pistol Squat.
Dabei musst du das Knie immer nach außen wegdrücken und die Hüfte parallel zum Boden halten. Genaueres erfährst du wie oben schon erwähnt in einem separaten Artikel. Trage dich am besten in unseren Newsletter ein, damit du ihn nicht verpasst:
Doch warum sind gerade Fußballer so häufig von Verletzungen des vorderen Kreuzbands betroffen?
Dazu musst du dich erst mal fragen: Welche Bewegung führst du beim Fußball immer und immer wieder aus?
Richtig! Das Kicken des Balls.
Und welche Muskelgruppe erledigt das?
Richtig! Deine Hüftadduktoren.
Die Adduktoren sind die Gegenspieler zu den Abduktoren. Sie ziehen deine Knie nach innen! Die nebenstehende Grafik aus dem Buch „Biomechanik der menschlichen Gelenke“ zeigt dies ganz gut.6 Bei Kontraktion suchen sich die Muskeln immer die kürzeste Distanz zwischen den beiden Ansätzen. Nur so kommt es zur Rotation und Bewegung im Gelenk. Siehst du in der Grafik, wie sich die beiden Ansätze der Adduktoren nähern und der Oberschenkel bei Kontraktion nach innen gezogen wird?
Dies ist an sich ein ganz physiologischer Vorgang. Doch wo liegt dann das eigentlich Problem?
Wie eine Muskeldysbalance zwischen Ab- und Adduktoren zum Problem wird
Bisher hatte JEDER Fußballer, den ich nach einer Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands gesehen habe, eine starke Schwäche in den Hüftabduktoren. Keiner war nach seiner Reha fähig eine vernünftige einbeinige Kniebeuge auszuführen – bei allen knickte das Knie nach innen oder die Hüfte sackte zur Spielbeinseite hin nach unten ab. Leider habe ich bisher keinen Patienten gesehen, bei dem auf die Hüfte geachtet wurde. Häufig wurde diese Übung erst gar nicht in der Reha durchgeführt. Deshalb finde ich es sehr wichtig, hier nochmal in einem späteren Artikel auf solche Übungen einzugehen, welche die Abduktoren stärken.
Und nun entsteht in der Spielsituation folgendes Problem:
Die Abduktoren und Adduktoren der Hüfte haben neben ihrer abspreizenden (Abduktion) und heranführenden Funktion (Adduktion) auch noch weitere Aufgaben: Die Hüftbeugung und die Hüftstreckung. Ab einer Hüftflexion von 70° können die ischiocruralen Muskeln nämlich nicht mehr zur Hüftstreckung beitragen, da sie dann überdehnt sind. Nun müssen diese anderen beiden Muskelgruppen greifen. Sind die Adduktoren nun stärker als die Abduktoren, werden die Knie eben nach innen gezogen.7
Das Knie ist also doppelt gefährdet
Zusätzlich zu den externen Valgusmomenten, die von außen auf das Knie bei einem Richtungswechsel wirken, ziehen bei einer Muskeldysbalance auch noch die Adduktoren das Knie nach innen! Und wie du nun weißt ist das Knie innenseitig kaum gesichert, sodass dann das Kreuzband einfach durchknallt. Genau deshalb erleiden eben besonders Fußballer häufig Kreuzbandrisse.
Was kann ich also als Fußballer gegen Kreuzbandrisse tun?
Du solltest:
- Ein ausgeprägtes Training der Hüftabduktoren in leichter Hüftflexion durchführen,
- dein sensomotorisches System schulen,
- deine tiefen Fußflexoren stärken und
- dein Hohlkreuz korrigieren, falls eins vorliegt.
Nun fragst du dich vielleicht, wie ich auf das Hohlkreuz (medizinisch Hyperlordose) komme? Das liegt ganz einfach daran, dass gerade Fußballer häufig betroffen sind. Warum das so ist, und was der Fußballer dagegen unternehmen kann, wird auch erst in einem späteren Artikel adressiert. 😀 Übungen werden dann selbstverständlich mitgeliefert! 😎
Dennoch möchte ich dich nicht einfach mit leeren Händen gehen lassen. Ich gebe dir etwas für dein Warm-Up mit, bei denen du deine Abduktoren gezielt aktivieren und kräftigen kannst.
3 kleine Übungen zur Stärkung der Hüftabduktoren für dein Warm-Up Programm auf dem Feld
Du kannst ein Hüftabduktorentraining ganz einfach in dein Warm-Up einbinden. Dazu benötigst du ein sogenanntes Miniband, welches du dir dann direkt über die Knie schlingst.
Folgende drei Übungen dienen als gutes Warm-up:
- Seitwärtsschritte in leichter Knieflexion mit Miniband.
- Kniebeugen mit Miniband.
- Sprungkniebeuge, um die Sprungkraft zu trainieren und die Muskeln auf das Spiel vorzubereiten (ebenfalls mit Minibands kombinierbar).
Ich empfehle dir das preis-leistungsstarke Miniband-Set von pullsh mit verschiedenen Stärken. So schaffst du Raum für Progression und kannst nach mehrmaligem Aufwärmen das nächst stärkere Band nehmen! 🙂
Fazit
Nach einem Sprung beim Landen oder auch bei einem Richtungswechsel entstehen Valgusmomente, die dein Knie nach innen kollabieren lassen. Dadurch steigt die Belastung auf das vordere Kreuzband enorm. Da das Knie nach innen hin nicht durch starke Bänderstrukturen geschützt ist, müssen deine Hüftabduktoren absolut fit sein. Denn die Hüfabduktoren ziehen die Knie wieder nach außen in eine physiologische Stellung.
Da Fußballer sportartspezifisch stark ausgeprägte Adduktoren haben und die Abduktoren meist vernachlässigt werden, entsteht ein erhöhtes Risiko durch eine muskuläre Dysbalance. Die Abduktoren können in der Hüftbeugung dem Zug der Adduktoren einfach nicht mehr stand halten. Die Folge: Das Knie kollabiert nach innen und die Verletzungsgefahr steigt exponentiell.
Mit den von mir aufgezeigten Warm-Up Übungen kannst du deine Hüftabduktoren gezielt vor dem Spiel oder dem Training aktivieren und auch kräftigen. Dennoch darfst du auf drei weitere sehr effektive Kräftigungsübungen gespannt sein, die ich in den nächsten Wochen vorstellen werde. Auch diese sind überall ausführbar!
Dann wünsche ich allen eine verletzungsfrei Saison!
Euer Fitnesswarrior,
Christina
P.S.: Mit den Minibändern kannst du natürlich auch die Arme oder den Rücken stärken. Der Kreativität sind dort keine Grenzen gesetzt! Norman nutzt sie zum Beispiel um das Sprunggelenk für die saubere Kniebeuge aufzurichten.
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Bellamy Knee Injury ist ein Derivat von Jon Candy unter der Lizenz CC BY-SA 2.0.
- o.V., Spiegel Online, Langzeitverletzter Nationalspieler: Badstuber erhält neues Kreuzband, Abgerufen am 26.10.2015. ↩
- Bong J., Prävention der vorderen Kreuzbandverletzungen, Abgerufen am 26.10.2015. ↩
- Myklebust G., Prevention of Anterior Cruciate Ligament Injuries in Female Team Handball Players: A Prospective Intervention Study Over Three Seasons, Clin J Sport Med, 2003. ↩
- Myer G., Br J Sports Med, High knee abduction moments are common risk factors for patellofemoral pain (PFP) and anterior cruciate ligament (ACL) injury in girls: Is PFP itself a predictor for subsequent ACL injury?, Br J Sports Med, 2013. ↩
- Vorlesung, S. Blumentritt, Belastung des Knies beim Gehen und Stehen. ↩
- P. Klein, Biomechanik der menschlichen Gelenke, Elsevier, 2012. ↩
- Ibraham Kapandji, Funktionelle Anatomie der Gelenke. Obere Extremität – Untere Extremität – Rumpf und Wirbelsäule: Schematisierte und kommentierte Zeichnungen zur menschlichen Biomechnaik, Thieme, 2006. ↩
Karim
Hallo,
ich finde eure Seite echt interessant und informativ. Ihr seid auch sehr hilfsbereit, was ich echt respektiere. (Y) Es gibt nicht sehr viele Seiten wo man sich so wichtige Informationen holen kann. Weiter so !
Norman Höhne
Grüß dich Karim,
Vielen Dank für die Blumen. Das bedeutet uns sehr viel! 🙂