Seit 4 Jahren habe ich keine Verletzung mehr an den unteren Gliedmaßen.
Seit 4 Jahren mache ich sensomotorisches Training mit Wackelbrettern.
Glaubst du es besteht da ein Zusammenhang?
Dann glaubst du richtig! Sensomotorisches Training hat mich tatsächlich verletzungsfrei gemacht. Du musst nämlich wissen, dass ich zuvor regelmäßig von Verletzungen (darunter auch zwei Kreuzbandrisse) geplagt war.
Doch was verbirgt sich nun hinter der geheimnissvollen Wirkung der Wackelbretter? Bisher konnte mir leider noch kein Wissenschaftler genau erklären, warum gerade das sensomotorische Training so einen großen Beitrag zur Verletzungsprävention leistet. Also habe ich mich selbst auf die Socken gemacht um nach Antworten zu suchen. Dieser Artikel wird dir die dunkelsten Ecken der Fragekiste beleuchten.
Studien belegen die präventive Wirkung von Wackelbrettern
Die Studien sprechen eine klare Sprache:
- In einer Studie von Verhagen E. wird beschrieben, dass es in der Gruppe mit Wackelbretttraining eine Risikodifferenz von 0.4 Verletzungen pro 1000 Trainingsstunden gab.1
- Emery zeigte, dass das Risiko einer Sprunggelenksverletzung (SGV) bei Gesunden um 80% und bei zuvor verletzten um 87% gesenkt werden konnte! Allgemein konnte die Verletzungsquote aller Gelenke um 29% gesenkt werden.2
- McGuine und Keene stellten eine Reduktion von SGV um 38% fest.3
- Kreuzbandverletzungen konnten um über 50% gesenkt werden, Knieverletzungen allgemein konnten signifikant gesenkt werden.4
Training mit dem Wackelbrett schützt vor Verletzungen – allem voran die Sprunggelenksverletzungen.
Doch auf welche Art und Weise entfaltet das Wackelbretttraining seine Wirkung?
In der aktuellen Wissenschaft werden immer wieder drei Theorien diskutiert:
- Theorie: die Verarbeitung der Informationen soll schneller erfolgen, d.h. die Weiterleitung über die Bahnen findet zügiger statt.
- Theorie: gezieltere Ansteuerung von Muskeln
- Theorie: eine verbesserte Ausgangsstellung der Gelenkposition sorgt für einen größeren zeitlichen Puffer bei der Verletzung.
1. Theorie: Veränderung der Neuronen?
Wenn du dich schon mal etwas mit der Neurologie beschäftigt hast, wirst du dich vielleicht erinnern, dass sich die Weiterleitungsgeschwindigkeit der Nervenbahnen nicht so einfach ändern lässt. Dazu müssten die Neuronen entweder an Durchschnitt zunehmen oder dickere Myelinschichten aufbauen (Genaueres zu Funktion und Aufbau vom Neuron findest du im DocCheck Flexikon).
Allerdings wird es sehr schwierig sein, diese Theorie wissenschaftlich nachzuweisen. Denn mal ehrlich: Würdest du dir neuronales Gewebe für wissenschatliche Zwecke entnehmen lassen? 😉 Ganz auszuschließen ist diese Theorie aber auch nicht, denn immerhin können neuronale Strukturen wieder nachwachsen oder sich neu entfalten. Warum sollte es also auch nicht zu einer Veränderung im Neuron selbst kommen?
2. Theorie: Gezieltere Ansteuerung von Muskeln
Eine gezielte Ansteuerung der Muskeln ist die Grundlage aller Bewegungen und wird maßgeblich durch die Rezeptorendichte in Sehnen, Bändern und Muskeln sowie der Verarbeitung im Gehirn beeinflusst.
Genau so wie du deine Denkweisen veränderst und schulst, musst du auch deinen Körper schulen. Dem sogenannten »Sensomotorischen System« kommt dabei eine besondere Aufgabe zu, damit all deine Muskeln effizient zusammenarbeiten können. (Näheres erfährst du in einem weiteren Artikel nächste Woche).
An dieser Stelle möchte ich dir noch ein Studienergebnis der Gruppe um Sheth et al. vorstellen. Sie untersuchten die Muskelfunktion bei simulierten Umknickmanövern.5
- Vor der Einführung des Wackelbretttrainings wurden alle tiefen Stabilisatoren aktiv: die Peronaen (Mm. peroneus longus, peroneus brevis) als auch der Tibialis anterior und posterior.
- Nach der Einführung des Wackelbretttrainings wurden nur noch die Peronaen besonders aktiv.
Doch was ist nun der Vorteil wenn offensichtlich weniger Muskeln aktiv sind?
Die Antwort liegt in der Funktion der einzelnen Muskeln begründet. Die Peronaen verlaufen nämlich außerhalb des Sprunggelenks und wirken dem Umknicken entgegen. Dahingegen verlaufen der Tibialis anterior und posterior innenseitig des Gelenks und begünstigen durch ihre Funktion die Inversion des Sprunggelenks. Und damit eben das Umknicken.
3. Theorie: Beeinflussung der Statik und der muskulären Verhältnisse
Die dritte Theorie findet wohl mit Abstand die meisten Anhänger. Man geht davon aus, dass die Stärkung spezieller Muskelgruppen an sich, als auch die daraus resultierende Verbesserung der Gelenkpositionierung, Verletzungen entgegenwirken. Vor allem das Fußgewölbe spielt hier eine entscheidende Rolle, da deine Füße den kompletten Körper tragen und aufrecht halten.
Nun solltest du dich an dieser Stelle fragen:
- Wie hängt nun das Wackelbretttraining genau mit der verbesserten Ausgangsstellung zusammen?
- Wieso kann ich mein Fußgewölbe besonders gut durch Wackelbretter stärken?
- Wie hängt das Ganze nun mit der Verletzungsprävention zusammen?
Die Lösung zu all diesen Fragen sind die Stabilisatoren. Sie sind das Bindeglied zwischen den Wackelbrettern und der Verletzungsprävention. Um dieses nachvollziehen zu können, will ich dir erst mal erklären, was Stabilisatoren überhaupt sind 😉 Danach gehe ich auf deren Funktion ein und im letzten Schritt erkläre ich dir dann, warum nur Wackelbretttraining hilfreich ist.
Welche Funktion übernehmen die Stabilisatoren generell?
Vielleicht hast du schon mal von deinem Physiotherapeuten gehört, dass sensomotorisches Training deine Stabilisatoren trainiert. Vielleicht hast du auch schon gesagt bekommen, dass das kleine, tiefe Muskeln sind, die direkt am Gelenk sitzen. Doch konnte dir schon mal jemand erklären, warum das so ist?!
Bevor wir ins Detail gehen, solltest du erst mal wissen, dass die Muskeln deines Körpers in drei verschiedene Gruppen unterteilt werden:
- lokale Stabilisatoren
- globale Stabilisatoren
- Mobilisatoren
Auf die genauen Funktionen von Stabilisatoren und Mobilisatoren gehen wir in einem späteren Artikel ein. Damit du ihn nicht verpasst, solltest du unseren Newsletter abonnieren:
Für diesen Artikel genügt es wenn du weißt, dass es die Aufgabe der Stabilisatoren ist, deine Gelenke in einem physiologischen Bewegungsumfang zu halten. Sie garantieren sozusagen für die Gelenksicherheit. Um dir die Funktion der Stabilisatoren noch deutlicher zu machen, möchte ich an dieser Stelle kurz die Mobilisatoren mit einbeziehen und die biomechanischen Unterschiede herausarbeiten. Die Mobilisatoren sind die Muskeln, die primär für die Fortbewegung zuständig sind.
Warum unterscheiden sich deren Funktionen?
Diesem Phänomen liegt ein biomechanisches Prinzip zu Grunde:
Moment = Kraft * Hebellänge
Muskeltypen – Stabilisatoren vs Mobilisatoren
Die Stabilisatoren liegen eng an deinem Gelenk an und besitzen dementsprechend nur eine sehr kurze Hebellänge. Deshalb können sie trotz hoher Kraftentfaltung nur geringe Momente produzieren. Die Momente sind jedoch entscheidend, inwiefern es zu einer Rotation im Gelenk und dementsprechend zur Fortbewegung kommt.
Die Mobilisatoren dagegen verlaufen in einer großen Distanz zu deinem Gelenk. Sie können mit relativ geringer Kraftentfaltung hohe Momente produzieren, weil die Hebellänge viel größer ist. Deshalb eignen sie sich besonders gut für die Fortbewegung.
Zum besseren Verständnis möchte ich dir nun 2 Muskelgruppen am Sprunggelenk vorstellen

- Der Tibialis anterior und der Peronaeus longus, die zusammen den Steigbügel bilden. Sie sind ausschlaggebend für eine physiologische Fußstatik. Sie unterstützen dein Längsgewölbe maßgeblich. Der Hebel des Tibialis anterior (verläuft auf der Innenseite des Sprunggelenks und ist nicht sichtbar auf dem Bild) beträgt nur 3,8mm und des Peronaeus longus (verläuft auf der Außenseite des Sprunggelenks) 12,8mm. Der Peronaeus longus ist der Muskel, welcher vom Unterschenkel kommend direkt am Zentrum des Sprunggelenks entlang verläuft.
- Die Wadenmuskulatur setzt dagegen mit Hilfe der Archillessehne am Calcaneus an. Auf dem Bild ist das die Muskelsehne hinten am Fersenknochen. Der Hebel beträgt geschlagene 52,8mm!6
Der Hebel der Archillesehne zum Sprunggelenk ist also 14x länger als der Hebel zwischen dem Sprunggelenk und dem Tibialis anterior. Erinnere dich nun kurz an folgende lineare Gleichung zurück:
Moment = Kraft * Hebellänge
Jetzt wird schnell erkennbar, dass bei gleicher Kraftentfaltung die Momente der Wadenmuskeln fast 14x so hoch sind wie die des Tibialis anterior! Als Folge wäre der Bewegungsumfang im Sprunggelenk durch die Wadenmuskulatur 14x höher als bei dem Tibialis anterior.
Was bedeutet das dann im Umkehrschluss für die Funktion der Stabilisatoren?
Stabilisatoren als Wunderwaffe gegen Sprunggelenksverletzungen
Wie bereits beschrieben sorgen die Stabilisatoren nicht für eine auffällige Bewegung im Gelenk, sondern sichern es gegen extern einwirkende Kräfte. Deshalb schützen sie dich so gut vor Sprunggelenksverletzungen. Erinnere dich dabei an die oben genannte Studie von Sheth et al. zurück.
Die Stabilisatoren entfalten also Kraft, werden starr und legen sich so wie eine zusätzliche Schutzhülle um dein Gelenk!
… und warum werden die Stabilisatoren besonders durch Wackelbretter trainiert?
Überleg doch mal anders herum:
Was würde passieren, wenn die Mobilisatoren greifen würden?
Richtig: es käme zur Bewegung und du würdest von deinem Wackelbrett fallen! Dein Körper wird also unter allen Umständen versuchen die akute Gelenkfehlstellung durch die Aktivierung der Stabilisatoren auszugleichen. Sie ziehen dein Gelenk in eine physiologische Position zurück.
Fazit
Ich hoffe, ich konnte das Rätsel bezüglich des Wackelbretttrainings als präventive Maßnahme gegen Verletzungen etwas aufklären. Ich möchte betonen, dass dieser Gedanke teilweise ein selbst entwickelter Ansatz ist, sodass ich leider nur Teilaspekte mit wissenschaftlicher Literatur belegen kann.
Die Wissenschaft hat bisher immer noch keinen gemeinsamen Konsens gefunden… Häufig kommt das auch durch die starke Spezialisierung vieler Wissenschaftler. Manchmal lohnt sich eben ein Blick über den Tellerrand hinaus, um zu einer Lösung zu kommen!
Schwörst auch du auf das Wackelbretttraining? Hat es dir ebenfalls weitere Verletzungen ersparrt? Teile uns deine Erfahrungen in den Kommentaren mit!
Mit diesen Worten verabschiede ich mich für diese Woche,
Dein Fitnesswarrior,
Christina
Sprunggelenk ist ein Derivat von »Gastrocnemius« von Rob Swatski und ist lizenziert unter CC BY-NC 2.0.
- Vgl. Verhagen E., et al., The Effect of a Proprioceptive Balance Board Training Program for the Prevention of Ankle Sprains, Am J Sports Med, Band 32, 2004, S. 1385 – 1393. ↩
- Vgl. Hübscher M., et al., Neuromuscular Training for Sports Injury Prevention: A Systematic Review, Medicine and science in sports and exercise, 2009. ↩
- Vgl. Ebd. ↩
- Vgl. Myklebust G., Prevention of Anterior Cruciate Ligament Injuries in Female Team Handball Players: A Prospective Intervention Study Over Three Seasons, Clin J Sport Med, Band 13, 2003, S. 71 – 78. ↩
- Vgl. Sheth P., et al., Ankle disk training influences reaction times of selected muscles in a simulated ankle sprain, Am J Sports Med, Band 25, 1997, S. 538 – 543. ↩
- Vgl. Klein P., Biomechanik der menschlichen Gelenke, Elsevier, 2012. ↩
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